Als das Wiener Volkstheater 1889 gegründet wird, ist die Wiener Theaterlandschaft noch stark nach Ständen unterteilt: Das Burgtheater etwa ist als kaiserliches Privattheater der Hocharistokratie vorbehalten. Es mehren sich demgegenüber Stimmen, die ein Deutsches Volkstheater als dezidiert bürgerliches, auch volksbildnerisches Gegenstück zum Hoftheater fordern. Gespielt werden sollen neben Volksstücken vor allem klassische und moderne Dramen. Der Verein „Deutsches Volkstheater in Wien“ wird ins Leben gerufen, dem unter anderen der Dramatiker Ludwig Anzengruber und der Möbelfabrikant Franz Thonet angehören. Auch die Architekten Ferdinand Fellner und Hermann Helmer sind Gründerväter des Vereins.
Das Volkstheater am Weghuberpark ist der erste Bau, der nach den Vorgaben des Theatergesetzes von 1882 errichtet wird. Als erstes Theater wird es ausschließlich elektrisch beleuchtet. Zusammen mit den Architekten Fellner und Helmer entwickelte Waagner-Biro damals die ersten Feuerschutzmaßnahmen für Theater. Der Ringtheaterbrand 1881 in Wien und zahlreiche andere verheerende Theaterbrände in Europa hatten in Wien letztlich zu neuen Sicherheitsvorschriften geführt. Die damalige Forschung von Waagner-Biro ist die Basis für die Sicherheitsbestimmungen in Theatern, die 1991 eingeführt wurden.
Um breite Bevölkerungskreise zu erreichen, setzte der historische Gründungsverein ursprünglich nicht nur auf ein entsprechendes Programm – auch der Theaterbau sollte in seinem großen Zuschauerraum mit nur sehr wenigen Logen vor allem viele Plätze zu erschwinglichen Preisen bieten. Im Laufe der Jahre wurde die Zahl der Sitzplätze immer wieder reduziert, um Sicht, Bequemlichkeit und Akustik zu erhöhen und zu verbessern.
Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden hier die letzten signifikanten Sanierungsmaßnahmen der veranstaltungstechnischen, insbesondere der bühnentechnischen Anlagen im Volkstheater Wien durch Waagner-Biro vorgenommen.
Seither haben sich zum einen die Bespielart von einem anfangs reinen En-Suite- Betrieb zu einem überwiegenden Repertoire- und Gastspielhaus gewandelt. Zum anderen entwickelten sich auch die Ansprüche an den technischen als auch wirtschaftlichen Betrieb weiter. Um diesen Rechnung zu tragen, wurde das Haus unlängst einer umfassenden Sanierung unterzogen.
Unser Mitarbeiter, Erich Raser, war bereits bei der Renovierung in den 1980er Jahren dabei und leitete den neuerlichen Umbau im Jahr 2020.
Sie haben vor über 40 Jahren bei der Waagner Biro begonnen. Wie kam es dazu?
1977 habe ich im Alter von 19 Jahren ein Ferialpraktikum in der Bühnentechnik gemacht und durfte beim Projekt Festspielhaus Bregenz mitarbeiten. Mein endgültiger Start war dann 1978 nach meinem Schulabschluss. Mein zweites Projekt war dann schon das Volkstheater, bei dem ich bereits von der ersten Minute an dabei war.
Was waren Ihre Aufgaben beim Projekt Volkstheater?
Damals war die Bühnentechnik mit ca. 8 Personen noch sehr klein und keine eigene Abteilung, sondern nur eine Sparte in der Abteilung Maschinenbau.
Ich war sozusagen die linke Hand des Projektleiters, der mich zu allen Besprechungen und Terminen von Anfang an mitgenommen hat. Das war sehr spannend – vom ersten Kundenkontakt und Angebotserstellung, von den Erstentwürfen bis zur fertigen Konstruktion und der Inbetriebnahme war ich überall live dabei. Das war sehr lehr- und hilfreich, vor allem auch für den jetzigen Umbau.
Damals gab es noch keine Computer und es wurde alles mit der Hand gezeichnet. Wie kann man sich das vorstellen, wie so ein Plan entstanden ist?
Am Anfang haben wir auf Zeichenbrettern mit Bleistift oder Tusche auf Transparentpapier gezeichnet. Für die Vervielfältigungen der Pläne gab es eine große Repro-Abteilung, in der für jeden Plan einzeln händisch die Lichtpausen angefertigt wurden.
Bevor man zu zeichnen begann, musste man sich bereits im Vorhinein über das Gesamtkonzept im Klaren sein. Bevor ich den Stift zur Hand nahm, war der Plan bereits in meinem Kopf fertig. Man konnte nicht einfach mit dem Zeichnen anfangen und wenn etwas nicht gepasst hat, einfach löschen oder zur Seite schieben. Wenn es einmal gezeichnet war, dann war es auf dem Papier. Die Stücklisten wurden händisch geschrieben und die Gewichte mussten wir mit dem Taschenrechner ausrechnen.
CAD-Programme oder ähnliches gab es noch überhaupt nicht. Erst in den 1990er Jahren wurden erste Computer angeschafft. Für das erste CAD-System wurde sogar ein Schichtbetrieb eingerichtet, damit das Gerät 24 Stunden ausgelastet ist, weil es so teuer war. In der Mitte des Büros gab es dann einen CAD-Arbeitsplatz, um den rundherum schwarze Vorhänge aufgehängt wurden. Da die Qualität der Bildschirme noch nicht sonderlich ausgereift war, war das notwendig, um etwas darauf erkennen zu können. Und natürlich gab es bei den Mitarbeitern Widerstände gegen das „neumodische Zeug“. So gesehen, habe ich in der Steinzeit der CAD Technologie angefangen.
Beim jetzigen Umbau haben wir zum Teil alte Pläne aus dem Archiv geholt und in 3D nachmodelliert – überall dort, wo etwas Neues an das Bestehende angebaut wurde. Das war zum Beispiel beim Schnürboden und den Galerien der Fall, wo wir neue Antriebe und Stiegen eingebaut haben.